Juli 1, 2025

Entwicklungen im Kinder- und Jugendtheater -wichtiger Baustein zur Zukunftssicherung des Theaters

Foto: www.theatermanagement-aktuell.de

Kunst- und Theaterbildung im Kindesalter sind entscheidende Faktoren für die kulturelle Teilnahme im Erwachsenenleben. Personen, die in der Kindheit aktiv zum Theaterbesuch ermuntert wurden, zeigen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, später selbst kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Belege für den Einfluss frühkindlicher Kulturteilhabe für das spätere Besuchsverhalten lassen sich in zahlreichen Studien finden. So etwa in der Studie des Rates für Kulturelle Bildung, einer Studie des Scottish Government Social Research oder der US-Kulturbehörde NEA (National Endowment for the Arts).

Diese allgemein anerkannten Erkenntnisse belegen die herausragende Bedeutung der Kulturteilhabe von Kindern- und Jugendlichen. Der kürzlich wiedergewählte Präsident des Deutschen Bühnenvereins vertritt zudem die These, dass Kultur für eine offene Gesellschaft von grundlegender Bedeutung ist (s. u. a. auch hier).

Dennoch rangiert das Kinder- und Jugendtheater im Ranking der Sparten eher auf den hinteren Rängen und muss auch im öffentlichen Kulturbetrieb in hohem Maße um seine Existenz kämpfen. Ein Großteil der Angebote der Sparte wird zudem von zahlreichen kleinen freien Gruppen angeboten, deren Existenzbedingungen zunehmend schwieriger werden. Die jüngsten drastischen Kürzungsansagen beispielsweise in NRW sind dabei kein Einzelfall.

Insofern spiegeln die Besucherzahlen von Kinder- und Jugendtheatern in Deutschland nicht nur das kulturelle Interesse junger Zielgruppen, sondern auch die Rahmenbedingungen institutioneller Förderung, pädagogischer Zusammenarbeit und gesellschaftlicher Entwicklungen wider.

Beim Blick auf die Spielzeiten seit 2008/09 wird deutlich, dass sich die Zahlen nach dem pandemiebedingten Einbruch bis zur Spielzeit 2022/23 noch nicht wieder erholen konnten.

Während sich die Besucherzahlen ab 2010/11 durchgehend oberhalb von 2,7 Mio. Besuchen bewegten, begann ab der Spielzeit 2019/20 ein drastischer Rückgang. Nach einem bereits leicht abgeschwächten Wert von ca. 2,4 Mio. in dieser Saison markierte 2020/21 mit unter 180.000 Besuchen einen historischen Tiefpunkt – ein Rückgang von über 93 Prozent gegenüber dem Vorpandemieniveau. Die Ursachen sind bekannt: Flächendeckende Theaterschließungen durch Lockdowns, entfallene Schulvorstellungen sowie eingeschränkte oder ausgesetzte Förderungen für mobile Produktionen. Die Folge war ein fast vollständiges Wegbrechen des Live-Kontakts mit jungen Zielgruppen. Die Auswirkungen dieses drastischen Bruchs der Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe im Kindesalter auf die Entwicklung des Interesses an Theaterbesuchen im Erwachsenenalter sind bislang noch weitgehend unerforscht und werden sich wahrscheinlich erst in einigen Jahren zeigen.

In der Spielzeit 2021/22 mit 1,11 Mio. Besuchen zeigt sich ein erster Erholungsschritt. Zur Saison 2022/23 konnte dieser Wert beinahe verdoppelt werden: 2,13 Mio. Besuche markieren eine deutliche, aber noch nicht vollständige Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau.

Was bleibt, sind weiterhin große Herausforderungen durch nachhaltige Publikumsverluste im frühkindlichen Segment, zögerliches Buchen von Gruppenvorstellungen durch Schulen, ein verändertes Rezeptionsverhalten und Gewohnheiten beim Medienkonsum sowie eingeschränkten Produktionstätigkeiten aufgrund von Personalengpässen und Finanzierungslücken.
Gleichzeitig zeigt die Entwicklung der Besucherzahlen eindrücklich, wie resilient die Kinder- und Jugendtheaterszene ist. Das Niveau der Vor-Corona-Jahre war bis zur Spielzeit 22/23 zwar noch nicht vollständig wiederhergestellt, der Trend zeigt jedoch in eine positive Richtung.

Ein Blick auf die Resonanz in den einzelnen Bundeländern, zeigt, dass dies in manchen Regionen besser gelingt oder möglicherweise traditionell leichter ist. Besnders auffällig ist, dass es in Sachsen-Anhalt, Bremen, Thüringen, Sachsen und Berlin im Verhältnis zur Einwohnerzahl in der Altersgruppe der 6 17-Jährigen einen deutlich höheren Anteil an Besucher:innen im Kinder- und Jugendtheater gibt.

Während Sachsen-Anhalt in der Altersgruppe insgesamt etwa 230.000 Einwohner:innen zählt, lag es 2023 in der relativen Betrachtung der Besuchszahlen im Kinder- und Jugendtheater mit 42,2 Prozent bzw. 95.330 Besuchen deutlich vor allen anderen Bundesländern. Das Bevölkerungsreichste Bundesland NRW verzeichnete im gleichen Jahr mit etwa 370.000 Besuchen zwar absolut einen deutlich höheren Wert. Allerdings entspricht das einem wesentlich geringeren Anteil (18,1 Prozent)an der Gesamtzahl der über 2 Millionen Einwohner:innen des Bundeslandes im Alter zwischen 6 – 17 Jahren. Nähere Untersuchungen lassen hier möglicherweise interessante Best-Practices erkennen, von denen man lernen kann.

  • Um die Resilienz der Sparte nachhaltig zu festigen, könnten u. a. folgende Ansätze förderlich sein:
    Stärkere Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen bis hin zu Kooperationsverträgen mit Schulträgern.
  • Digitale Ergänzungsformate und mobile Produktionen in Form von hybriden Produktionen und Outreach-Projekten zur Rückgewinnung und Steigerung der Reichweite.
  • Zielgerichtetes Audience Development etwa durch frühkindliche Angebote, theaterpädagogische Vertiefung und partizipative Programme.
  • „Granny“-Programme, die die Verbindung zwischen jungen Zielgruppen und der wachsenden Boomergemeinschaft nutzen.
  • Intensivere Pflege und unterstützung von Mulitplikatoren etwa durch die Bereitstellung von zeitgemäßen didaktischen Materialien und Formaten (Einbinden von KI-Technologien).
  • Besonders wichtig erscheint vor allem eine entsprechende Priorisierung und Wertschätzung der Sparte und der darin aktiven Künstlerinnen und Künstler.

Die kürzlich mit dem Kinder- und Jugendtheaterpreis des INTHEGA-Vorstands ausgezeichnete Kleine Oper Bad Homburg oder die Kinderoper der Oper Köln, die ebenfalls Musiktheater speziell für junges Publikum auf die Bühne bringt oder das Theater der Jungen Welt in Leipzig oder das Junge Landestheater Schwaben und viele mehr sind zukunftsweisende Best Practice Beispiele, die sich nicht hinter den Erfolgen der großen Bühnen verstecken müssen. Und zudem leisten sie einen unschätzbaren Dienst für die Theaterwelt und schaffen unverzichtbare Grundlagen für eine offene Gesellschaft.