Interview mit Matthias Hirschbiegel, Hirschbiegel & Grundstein (Foto: Gerd Altmann auf Pixabay)
tma: Herr Hirschbiegel, Theater stehen heute mehr denn je unter erheblichem Kostendruck und müssen gleichzeitig ihre künstlerische Qualität sichern. Mit KOKOS.event liefern Sie seit Jahrzehnten eine Software-Lösung für Theater, die vor allem die Abläufe in den Bereichen Disposition, Terminplanung sowie Personalplanung und –abrechnung optimiert. Welche Rolle wird aus Ihrer Sicht zukünftig KI spielen, um den Spielbetrieb effizienter zu gestalten?
Matthias Hirschbiegel: Insbesondere im Kontext zur Kunst ist es wichtig, die Arbeitsweise und Möglichkeiten der künstlichen Intelligenzen abzugrenzen. Diese Algorithmen arbeiten auf der Basis von vorhandenen Informationen, mit welchen sie trainiert wurden. Diese Informationen werden mit Hilfe von Sprachmodellen für uns aufbereitet. Das heißt, der Computer ist nicht kreativ, vielmehr ermittelt er seine Ergebnisse auf Basis von vorhandenen Daten, die in mathematische Modelle übertragen wurden. Das ist noch keine echte Kreativität. Die Analyse und Aufbereitung vorhandener Daten funktionieren aber schon sehr gut.
Unsere Handbücher umfassen viele Tausend Seiten und für die Benutzer kann eine Suche nach Informationen zeitaufwendig werden. Unsere KI-Hilfe gestattet eine in natürlicher Sprache formulierte Frage und die künstliche Intelligenz stellt die Informationen zusammen und formuliert eine natürlichsprachige Antwort. Auf diese Weise erweitert die KI die Fähigkeiten des Fragenden.
Im nächsten Schritt der KI-Evolution werden die Themen und Daten des eigenen Hauses betrachtet. Wir bereiten dies mit unserem Modul KOKOS.event Dashboard vor. Es gestattet derzeit schon die ad hoc Anzeige unterschiedlichster Fakten aus dem KOKOS.event-System. Dies kann beispielsweise als Frühwarnsystem genutzt werden, wenn die Anzahl der Überstunden ansteigen oder die Auslastung der Probenzeiten überproportional steigt.
Künstliche Intelligenzen bieten aufgrund der Sprachanalysefähigkeit und der Möglichkeit das Ergebnis sprachlich aufzubereiten, die Möglichkeit, Fragen an das System zu stellen, die ein Computersystem nicht beantworten könnte, wenn der Programmierer dies nicht zuvor in Form von Algorithmen erdacht hat.
Schließlich werden die derzeit schon existenten, aber mit Vorsicht zu betrachtenden Protokolle Verwendung finden, die es ermöglichen, dass künstliche Intelligenz das Programm oder gar technisches Gerät bedient. Im Dialog mit der künstlichen Intelligenz wird es möglich sein, die Umsetzung des kreativen Prozesses bezüglich informationeller, insbesondere finanzieller und technischer Parameter in Echtzeit zu begleiten.
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die künstliche Intelligenz in nahezu allen Bereichen des Spielbetriebs Optimierungen ermöglichen wird. Aus heutiger Sicht wird sie für den Kunstschaffenden ein Werkzeug sein, ihn jedoch nicht ersetzen.
tma: Können Sie ein Beispiel nennen, wie eine solche umfangreichere KI-Lösung im Alltag einer Intendanz oder Verwaltungsdirektion aussehen könnte? Welche Art von Management-Insights könnten Theaterleitungen durch KI zukünftig erwarten, die heute noch nicht oder nur mit großem Aufwand verfügbar sind?
Matthias Hirschbiegel: Stellen Sie sich vor, eine Rolle in einer Oper ist zu besetzen und die favorisierte Person ist nicht verfügbar. Eine KI böte mir nun die Möglichkeit, eine Abfrage zu starten, die unsere vorhandenen Datenbestände untersucht, dabei meine unterschiedlichsten Präferenzen (Repertoire, Stimmlage, Kosten, Wohnort, Agentur, Kalender und sogar Zusammenarbeit) beachtet und als Ergebnis eine Präferenzliste mit Kontaktdaten und voraussichtlichen Kosten inklusive Begründungen liefert. Die Arbeitszeitersparnis ist enorm.
tma: Welche Erfahrungen haben Theater bisher mit der KI gestützten Freitextabfrage in der Softwaredokumentation gemacht – wo liegen die größten Effizienzgewinne?
Matthias Hirschbiegel: Als Rückmeldungen insbesondere bei unseren Anwendertreffen erreicht mich die Aussage, wir mögen doch die Dokumentationen etwas leichtgewichtiger gestalten, weil das spezielle Vokabular und die Beschreibungen einen tieferen Einstieg in die Thematik erforderlich machen. Auf der anderen Seite wünschen sich manche Benutzer mehr Einblick in die Wirkweise, um das System noch besser auf ihre Anforderungen einzustellen. Hier kann eine künstliche Intelligenz ihre Stärke ausspielen. Die angefragte Information wird aus den diversen Handbüchern herausgesucht und in einer natürlichsprachlichen Antwort bereitgestellt. Wenn der Benutzer möchte, kann er nun seine Frage im Dialog mit der KI präzisieren, um tiefer in das Thema einzutauchen. Das ist schon eine tolle Sache.
tma: Gerade die zunehmend komplexer werdenden Regelwerke des NV-Bühne stellen häufig eine Herausforderung für Personaldisposition und Abrechnung dar. Inwieweit kann KI helfen, diese Aufgaben besser zu beherrschen?
Matthias Hirschbiegel: Wir können schon seit einiger Zeit feststellen, dass Tarifverträge im deutschsprachigen Raum sehr hohe Anforderungen an die Planenden stellen. Verschiedene Paragrafen bedingen sich gegenseitig und erhöhen damit extrem die Komplexität der Planung. Es ist aber ein Unterschied, ob ich eine natürlichsprachige Zusammenfassung eines Tarifvertrags wünsche oder ob eine Jahresplanung unter Beachtung unterschiedlichster Optimierungsszenarien stattfinden muss, bei denen ein Fehler einen Vertragsbruch darstellt oder zu Mehrzahlungen führt, die man tunlichst vermeiden möchte.
Wir nutzen hier somit derzeit keine künstliche Intelligenz, um die Validität der Planung zu prüfen. Vielmehr bieten wir einen NV-Bühne-Assistenten, der mit Hilfe von herkömmlicher Programmierung arbeitet und dem Planer potenzielle Vertragsverstöße anzeigt. Die Planenden können dann selbst entscheiden, wie sie bei diesem Problem verfahren.
tma: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, damit Theater in Zukunft noch effizienter werden können? Wo sehen Sie derzeit noch große Barrieren?
Matthias Hirschbiegel: Ich sehe hier vor allem als nächste Schritte eine weitergehende Vernetzung der Arbeitsprozesse. Und natürlich betrachte ich eine Auflösung des herkömmlichen Abteilungsdenkens vorrangig im Sinne einer Vernetzung durch Digitalisierung. Hierbei können beispielsweise Mitarbeiterportale wie unser PeM.Web die Personalabteilungen von standardisierten Prozessen und Formularen entlasten. Dies macht insbesondere deshalb Sinn, weil aufgrund der erhöhten Anforderungen, wie sie beispielsweise aufgrund der Kontrolle der Nebenbedingungen eines NV-Bühne-Tarifvertrags erwachsen, zeitliche Freiräume für diese neuen Aufgaben geschaffen werden müssen.
Ein nicht geringer Anteil der Arbeit von Dispositionen ist das Aufbereiten und Verteilen des aktuellen Planungsstands. Es gibt jedoch inzwischen die Möglichkeit, Dienst- und Terminplanungen in einem Mitarbeiterportal zur Verfügung zu stellen. Hier holt sich der Mitarbeiter die aktuelle Information, wenn er sie benötigt, also ein Pull anstatt eines Push. Es ist sogar möglich, die aktuelle Terminplanung auf Wunsch direkt dem Mobiltelefon des Mitarbeiters oder Gastkünstlers zu übergeben. Die Nutzer haben dann auf Wunsch den Dienst- oder Terminplan immer aktuell im persönlichen Kalender, ohne dass sich ein Mitarbeiter um die Verteilung der Daten kümmern muss.
tma: Viele Theater arbeiten mit historisch gewachsenen Analysetools. Exceltabellen sind in den verschiedenen Planungsbereichen immer noch vielfach verbreitet. Welche Herausforderungen sehen Sie da auf die Theater zukommen?
Matthias Hirschbiegel: Sind die Excel-Tabellen sehr einfach gehalten, bilden Sie die Controlling-Realität oft unzureichend ab. Mit fortschreitender Komplexität verkommen diese Excel-Tabellen jedoch zu unverständlichen Formel-Ungetümen, die in der Regel nur noch von einer Person gepflegt werden können. Diese Arbeitsweise ist nicht nur überholt, sie ist aus kaufmännischer Sicht auch verantwortungslos. Mit dem Mitarbeiter verliert das Theater dann vorhersehbar sein Know how. Es gilt hier nachvollziehbare Prozesse zu definieren und zu dokumentieren. Mit einer Budgetmanagement-Lösung sind die Prozesse dokumentiert, nachvollziehbar und unterliegen automatisch einer Weiterentwicklung. Verstehen Sie mich richtig, Tabellenkalkulationen werden aufgrund ihrer Möglichkeiten weiterhin vielfältig und erfolgreich im Einsatz sein. Im Rahmen eines strategischen Controllings gilt es jedoch zeitlich weitreichende Lösungsansätze zu wählen.
tma: Welche Bedeutung haben für Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise Schnittstellen und Datenaustausch mit Ticketsystemen? Was fehlt aus Ihrer Sicht, um hier weiterzukommen?
Matthias Hirschbiegel: Auf diesem Gebiet bin ich etwas desillusioniert. Wie ich schon vorhin angedeutet habe, bin ich der Meinung, dass eine Vernetzung von Information und eine gestärkte Zusammenarbeit dem Gesamtsystem Kultur zuarbeitet. Wir versuchen mit KOKOS.event Schnittstellen zu allen relevanten Systemen zu schaffen, um den Aufwand von Doppelerfassungen, Planänderungen und den dadurch entstehenden Korrekturen zu reduzieren. In den vergangenen 10 Jahren ist es uns aber trotz aller Bemühungen nicht gelungen, auch nur einen Anbieter von Ticket-Verkaufssystemen im deutschsprachigen Raum transparent und vollständig in die KOKOS.event Prozesse einzubinden. Die Schnittstellen sind unvollständig, Daten werden nicht geteilt. ….
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