Nachhaltigkeit am Theater – Interview mit Stefan Lohmann

Foto: Stefan Lohmann

Herr Lohmann, Sie sind als Artist Relation Manager tätig und erstellen unter anderem Live Entertainment Konzepte für Kultur- und Festival- Veranstalter. Zu Ihren Kunden zählen beispielsweise das Theaterfestival Bad Hersfeld und die Freilichtbühne in Ötigheim, für die Sie Konzert-Acts planen, einkaufen und koordinieren.

Ich buche die Künstlerinnen und Künstler sowie Shows für meine Kunden anhand der Vorgaben und Budgets. Unter anderem auch für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Als Talent Buyer arbeite ich sozusagen als professioneller Einkäufer im Namen meiner Kunden. Allerdings gehen meine Tätigkeiten weit über das reine Künstlerbooking hinaus. Ich erstelle auch Live Entertainment Konzepte u.a. mit dem Berlin Show Orchestra und buche dazu internationale Stars und Rahmenprogramme, z.B. für den Leipziger Opernball oder für Firmenevents von Samsung und für einige der kreativsten Eventagenturen. Dazu gehören auch Drohnenshows und Celebrity Speaker, Welcome Entertainment, Aerial Acts. Im Prinzip alles, was man unter dem Begriff Live Entertainment zusammenfassen kann – wir bieten eine One-Stop-Solution for Live Entertainment Experiences. Unser Ziel ist es – mit unseren Kunden – unvergessliche „Mittendrin“ Erlebnisse zu schaffen.

Mit Ihrer Initiative „Sustainable Event Solutions“ widmen Sie sich auch dem Thema Nachhaltigkeit im Live-Entertainment-Sektor. Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang?

Nachhaltigkeit bedeutet mehr als Umweltschutz. Zur Nachhaltigkeit gehören auch die Bereiche Soziales und Ökonomie. Nachhaltige Veranstaltungen achten nicht nur auf Umweltschutz, Ressourcenschonung und geringe CO2 Emissionen, sondern auch auf Inklusion, faire Bezahlung, Diversität, nachhaltige Lieferanten etc. Aber natürlich gehört dazu auch, dass die Veranstaltungen wirtschaftlich erfolgreich sind, damit eine faire Bezahlung möglich ist und die Veranstaltungen langfristig umgesetzt werden können.

Mein Ziel mit „Sustainable Event Solutions – all sustainable suppliers in one place!“ ist es, dass Veranstaltungen grundsätzlich nachhaltig umgesetzt werden, bzw. idealerweise sogar einen positiven Impact haben. Wir machen die nachhaltigen Lieferanten der Event Industrie sichtbar und helfen Veranstaltern und Künstlern, die passenden Lieferanten zu finden.

Ist das Thema „Nachhaltigkeit“ bei den Verantwortlichen der Branche aus Ihrer Sicht schon angekommen?

Ja viele Verantwortliche machen sich bereits Gedanken, aber jede Veranstaltung hat ja unterschiedliche Ansätze. Somit kann man sie auch nicht vergleichen. Beim Theaterfestival in Ötigheim steht das soziale Engagement z.B. sehr stark im Vordergrund. Da können sich viele Veranstalter was abschauen. Dort spielt das ganze Dorf mit und die Kids werden schon früh gefördert. Das Ganze hat auch einen christlichen Hintergrund. Einer der Gründer war der Pfarrer vor über 100 Jahren. Damals ging es darum dem sozialen Auseinanderdriften etwas entgegenzusetzen. Die haben schon nachhaltig gearbeitet bevor das Thema überhaupt aufkam. Auf der anderen Seite kann man noch viel verbessern. Nachhaltigkeit ist ein immer fortschreitender Prozess.

Beim Brand Experience Festival in Dortmund, dort treffen Marken und Eventagenturen aufeinander, war Nachhaltigkeit und Verantwortung eines der Hauptthemen. Und seitdem Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Nachhaltigkeitsberichte anfertigen müssen, entsteht ein neues Bewusstsein bei den Marken. Aber es fehlt oft an Wissen und es bestehen noch viele Vorurteile.

Das ist einer der Gründe, warum ich den Sustainability Rider mit einer Checkliste erarbeitet habe, den ich kostenlos auf der Seite www.sustainable-event-solutions.de zur Verfügung stelle. Das Besondere daran ist die starke Komprimierung auf wenige Seite, mit dem Ziel der Orientierung und des schnellen Wissenstransfers für die Branche.

Ich habe noch nie so ein positives Feedback von allen Seiten bekommen. Sei es vom ZMF Festival in Freiburg oder von den Eventagenturen die für Microsoft arbeiten. Ich wurde als Sprecher und Panelist für die wichtigsten B2B Events der Konzertindustrie angefragt. Es tut sich was in der Branche – das Jahr 2020 ist das Jahr der Nachhaltigkeit.

Welches sind für Sie die wirksamsten Handlungsfelder, um beispielsweise Theater-Festivals nachhaltiger zu gestalten?

Das kann man leider nicht so einfach beantworten, weil die Festivals ja sehr unterschiedlich aufgestellt sind und auch unterschiedliche Zielgruppen haben. Aber Grundsätzlich kann man sagen, wer die Entwicklung der Gesellschaft verschläft (Stichwort Fridays For Future, Kohleausstieg, massiver Anstieg an Vegetariern, European Green Deal …), kann sich damit konfrontiert sehen, dass die Veranstaltung nicht mehr vom Publikum akzeptiert wird und vom Markt gefegt wird. Das kann man auch mit Marken vergleichen, die aktuell alle nach Haltung und Mehrwert streben, weil Sie verstanden haben, dass eine Marke ohne Relevanz für die Zielgruppe austauschbar ist und schnell vom Markt verschwinden kann. Das gleiche gilt für Veranstaltungen.

Der Sustianability Rider und die Checkliste ermöglichen es allen Veranstaltern, sich einen Überblick über die Handlungsfelder zu verschaffen. Dabei zeigt sich auch, mit welchen einfachen Mitteln jeder ganz schnell viel erreichen kann. Stichwort Umstellung auf Ökostrom. Wie vermeide ich CO2, wie kann ich reduzieren, wie kompensiert man die unvermeidlichen Emissionen. Ist die Veranstaltung zugänglich für Rollstühle, wird auf nachhaltiges Catering gesetzt, wie und womit wird gereinigt? Die Checkliste bietet anhand von 13 Leitlinien alle wichtigen Handlungsfelder, die jeder Veranstalter beachten sollte.

Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf?

Ich möchte, dass Veranstalter das Thema ernst nehmen und damit anfangen sich auf dem Weg der Nachhaltigkeit zu begeben. Den meisten Veranstaltern fehlt das Wissen und der Überblick – hier besteht der größte Nachholbedarf. Gerne helfe ich in dem Bereich und stelle für jede Fragestellung und jedes Problem die passenden Experten oder Services zur Verfügung. Die meisten Veranstalter haben leider Hemmungen anzufangen, weil sie sich mit dem Thema überfordert fühlen, nicht wissen, wo sie anfangen sollen und Angst vor Greenwashing-Vorwürfen haben. Das ist ein weiterer Grund, warum ich den Sustainability Rider mit der Checkliste geschrieben habe. Ich versetze damit jede und jeden in die Lage Veranstaltungen nachhaltig umzusetzen.

Was sind Ihrer Meinung nach, die häufigsten Barrieren, wenn es darum geht, Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit im Bereich Live-Entertainment umzusetzen?

Ich glaube, die größten Hürden sind Angst vor höheren Kosten und Unwissenheit. Die meisten Veranstalter denken, dass eine nachhaltige Umsetzung automatisch mehr kostet. Dabei stimmt das gar nicht. Zu jeder Event-Analyse für eine nachhaltige Umsetzung gehört auch, dass die Einnahmesituation optimiert und die Kostenseite reduziert werden, z.B. durch Energiesparmaßnahmen. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass durch eine nachhaltige Umsetzung von Veranstaltungen, neue Sponsoren in Betracht kommen und Kosten reduziert werden können.

Mit welchen Veränderungen und Konsequenzen müssen wir rechnen, wenn Live-Entertainment nachhaltiger wird? Wird es weniger Veranstaltungen in Zukunft geben? Werden Festivals lokaler?

Ich glaube nicht unbedingt, dass es weniger Veranstaltungen werden. Es werden Veranstaltungen verschwinden, aber auch neue hinzukommen. Aber ich bin mir sicher, dass sinnentleerte, umweltschädliche Veranstaltungen keine Akzeptanz mehr finden werden. Veranstaltungen bieten die Chance für Mehrwert und positiven Impact für Umwelt und Gesellschaft. Sei es inhaltlich oder pro Ticket ein Baum, es gibt viele Möglichkeiten, Events mit einem positiven Impact zu gestalten. Und das ist auch das Ziel von Sustainable Events Solutions, Veranstaltern zu helfen nicht nur klimafreundlichere Events zu organisieren, sondern Events mit positivem Impact.

Mit der Initiative „Sustainable Event Solutions“ haben Sie eine Plattform für Anbieter geschaffen. Wie ist die Resonanz?

Wir haben ja gerade erst angefangen, auch die Pressearbeit hat ja noch gar nicht so richtig begonnen. Insofern kann man eigentlich noch gar nichts dazu sagen, aber die erste Resonanz ist sehr positiv. Wir haben einige der Marktführer überzeugen können und gleich von Beginn an war das Interesse international.

Das eigentliche Potential, uns als Gemeinschaft zu positionieren, startet erst später und das wird dann richtig spannend. Auch für Ausschreibungen und eventuelle Pitches, an denen die Gemeinschaft teilnehmen kann. Es geht auch darum, als Netzwerk zu agieren und neue Produkte und Start-Ups zu unterstützen.

Haben Sie das Gefühl, dass sich schon etwas in Richtung Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb und Eventbusiness verändert hat?

Ja, es ändert sich gerade sehr viel, der Druck wird größer und seit Fridays For Future ist das Thema in der Gesellschaft angekommen. Und durch Aufklärung werden Produkte oder Inhaltsstoffe von den Konsumenten boykottiert. Sehen Sie sich die Locations an. Da werden neue Gebäude nicht mehr ohne Nachhaltigkeitskonzept gebaut. Was aber auch mit Kostenersparnissen beim Betrieb der Location zu tun hat. Nachhaltigkeit ist eine logische Konsequenz, wenn man nach Optimierungsmöglichkeiten sucht. Viele Veranstaltungsorte bieten mittlerweile Nachhaltigkeitskonzepte an oder setzen zumindest auf Ökostrom, Müllvermeidung und Recycling. Übrigens ist Mülltrennung und Recycling für Gewerbetreibende gesetzlich vorgeschrieben. Die Strafen bei Missachtung sind enorm.

Wo sehen Sie, in Bezug auf die Nachhaltigkeit im Live-Entertainment-Sektor, die Grenze des Machbaren erreicht?

Aktuell liegen die Grenzen im technisch Machbaren und in den persönlichen Einstellungen auf der Führungsebene. Was aktuell technisch noch nicht im Mainstream Bereich möglich ist, ist z.B. die CO2-freie Logistik. Es fehlen ganz einfach die entsprechenden Motoren für die Trucks und Nightliner. Wir können auch noch nicht CO2-frei fliegen. Aber das sind Probleme, an denen gearbeitet wird und solange bleibt uns nur die Vermeidung, Reduzierung und Kompensation.

Was mich weitaus mehr besorgt, sind die Entscheidungsträger auf der Führungsebene, die es einfach noch nicht verstanden haben. Das ist ähnlich wie in der Autoindustrie. Aktuell laufen die deutschen Autohersteller, die über Jahrzehnte die Nummer eins im Autobau waren, den Entwicklungen hinterher und wenn sie nicht alles daran setzen neue Lösungen zu präsentieren, dann kann es tatsächlich passieren, dass die weltbesten Autos nicht mehr in Europa gebaut werden.

Im Veranstaltungsbereich sollte die nachhaltige Umsetzung eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn Theater im Diskurs mit der Gesellschaft stehen wollen und eines der wichtigsten Themen unserer Zeit nicht beachten, dann hat das Theater den Bezug zur Gesellschaft verloren, oder?

Gerade Entscheidungsträger im Kulturbereich sollten Vorreiter sein, was eines der wichtigsten Themen unserer Zeit angeht, und zwar nicht nur theoretisch und auf der Bühne, sondern auch praktisch hinter der Bühne. Theater, Kultur und Events sind Teile der Gesellschaft und einer Stadt. Und insofern tragen diese Institutionen eine wichtige Verantwortung und sollten Vorbild-Charakter haben. Veranstaltungen können was verändern und danach sollten wir streben.

Was sind aus Ihrer Sicht absolute Nachhaltigkeits-No-Gos im kulturellen Live-Entertainment Sektor?

Ich denke, nicht anzufangen, ist das größte No-Go. Ein „weiter wie bisher“ geht nicht mehr. Das hat auch etwas mit Verantwortung zu tun. Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, den Mitarbeitern und der Umwelt. Zumal Nachhaltigkeit ja nicht teurer sein muss, es sogar Einsparpotential gibt und man sich Experten zur Beratung hinzuziehen kann. Es gibt keinen Grund länger zu warten. Let’s go Creative together – NOW!

Welches kulturelle Live-Entertainment Event, welches Theater-Festival oder Theater-, Opern- oder Konzerthaus ist für Sie ein Vorbild in punkto Nachhaltigkeit?

Ich mag diese Vergleiche ehrlich gesagt nicht – weil man dann auch Äpfel mit Birnen vergleicht und das auch wieder dazu führt, dass die Verantwortlichen einen Grund finden nicht anzufangen. „Das schaffen wir ja nie so wie die. Die haben ja auch mehr Geld, Mitarbeiter etc.“ Das sind alles Ausreden, die heute nicht mehr funktionieren. Mir ist jede Location die liebste Location, die angefangen hat, sich Gedanken zu machen, wie sie nachhaltiger agieren kann und innerhalb ihrer Möglichkeiten alles daran zu setzen, nachhaltiger zu werden. Auf Ökostrom kann jeder umschalten. Energieverbrauch reduzieren und am Ende kompensieren kann auch jeder und zwar jetzt.